Hayden und Louise
Louise
Louise schloss das Fenster, ließ ihren Blick dabei die Straße auf- und abwandern. Seufzend wandte sie sich ab. Hatte sie gedacht, der Brief wäre eine gute Idee gewesen, ein kleiner Schups, hatte er das Gegenteil bewirkt. Der junge Mann war verschwunden. Fünf Wochen lang hatte er jeden Abend gegenüber im Schatten der Seitengasse zwischen den Hauswänden gestanden und zu ihrem Fenster aufgesehen. Nachdem sie den Brief hinausgeworfen hatte, war er allerdings nicht mehr erschienen. Sie schüttelte den Kopf. Wenn er durch die vier Worte etwas über sich herausgefunden hatte, dann hatte sie ihre Schuldigkeit getan. Ein Service der freundlichen Hure von nebenan, gern geschehen.
Sie entkleidete sich, trat in die Dusche und ließ heißes Wasser über ihren Körper laufen. Der Tag war erwartungsgemäß ruhig verlaufen. Sie hatte keine Termine gemacht, stellte sich auf Freier ein, die spontan vorbeikommen würden. Es konnte passieren, dass niemand auftauchte. Das war in Ordnung. Sie hatte eine Woche vor Monatsende ihr Soll, das sie gut über Wasser hielt, erreicht. Sie würde wie immer bis zehn Uhr in dem Studio verbringen, ihre Bücher durchsehen, bevor sie nach Hause gehen und sich einen schönen Abend machen würde. In einen Bademantel gehüllt trat sie in den begehbaren Schrank und suchte sich ein Outfit aus, als es an der Tür klopfte.
„Einen Moment!“ Trevor machte seine Kontrollrunde, würde fragen, ob sie den Abend verfügbar wäre. Ohne durch den Spion zu gucken, riss sie die Tür auf und starrte vor eine kräftige Brust in dunkelgrauem T-Shirt. Ihr Blick fuhr über den Schriftzug einer Heavy Metal Band hinauf in das Gesicht des jungen Mannes, dessen dunkle Augen sich in ihre bohrten. Seine fast schwarzen Haare wirkten verwuselt, als wäre er sich immer wieder mit den Händen hindurchgefahren. Er presste die Lippen aufeinander, während er sie starr fixierte. „Oh!“, entfuhr es ihr und sie setzte einen Schritt zurück.
„Hey“, rollte seine tiefe Stimme über sie und seine Mundwinkel zuckten kurz, bevor er die Lippen wieder aufeinanderpresste, doch er wandte den Blick nicht ab, sah ihr fest in die Augen.
„Hey“, erwiderte sie heiser. Oh Gott! So nah wirkte er furchteinflößend. Die Entfernung, aus der sie auf ihn hinuntergesehen hatte, hatte seine tatsächlichen Körpermaße relativiert. Jetzt, da er in voller Größe vor ihr stand, musste sie schlucken. Dunkle Tattoos schlängelten sich aus dem linken Ärmel um seinen kräftigen Oberarm. Adern liefen darüber, seine definierten Unterarme entlang auf seine großen Hände. Oh, er konnte sie in der Mitte durchbrechen. Unwillkürlich wich sie in ihren Raum zurück. Wie war er ohne Meldung der Rezeption hier hochgekommen? „Du bist nicht Trevor“, entfuhr es ihr mit heiserer Stimme.
Seine Hände ballten sich an seiner Seite zu Fäusten. „Nein! Ich wusste nicht ... ich wollte nicht ... Vielleicht sollte ich gehen.“ Auch er wich einige Schritte zurück, die dunklen Augen plötzlich wie die eines verschreckten Rehs aufgerissen. „Ich hätte nicht kommen sollen.“
„Warte!“, rief sie, als er sich abwenden wollte, und sie setzte schnell ein paar Schritte auf ihn zu. „Entschuldige, ich war überrascht.“ Er zögerte, sah sie unschlüssig an. Du dummes Weib, schalt sie sich, du verjagst ihn. Gegen jede Alarmglocke in ihrem Kopf streckte sie die Hand aus und schloss sie um eine seiner Fäuste, versuchte, die Finger zu lösen und mit ihren zu verschränken. Sie lächelte ihn an. „Ich war nicht auf Besuch eingestellt, wie du sehen kannst.“ Sein Blick löste sich zögerlich von ihren Augen, fuhr über den Bademantel hinunter zu ihren nackten Füßen und wieder hinauf in ihr Gesicht. „Normalerweise empfange ich so keine Gäste.“ Sie vermied absichtlich Worte wie Kunde oder Freier. „Die Rezeption meldet uns Besuch. Deswegen dachte ich, du seist Trevor, der Rezeptionist.“
Er räusperte sich. „Rezeption?“
„Der Tresen im Eingangsbereich. Wurdest du dort nicht empfangen?“
Er schüttelte leicht den Kopf. „Nein, es ... war niemand da.“
Sie schnaufte. Trevor musste zur Toilette gegangen sein oder zu einer der anderen Frauen. Stammkunden warteten, dass er sie begrüßte, aber der junge Mann war das erste Mal hier, wusste nicht, wie es hier zuging. Die Ordner kontaktierten sie, wenn ein Gast das Haus betrat, teilten ihnen mit, dass der gebuchte Termin eingetroffen war, oder starteten die Videoübertragung, dass sie sich einen neuen Kunden ansehen konnten, um zu entscheiden, ob sie ihn annahmen.
„Das macht nichts“, versicherte sie ihm. Er wirkte immer noch wie ein verschrecktes Reh, trotz seiner Statur und seiner dunklen Erscheinung. Scham stand in seinem Gesicht, als er sie unentschlossen anstarrte. „Möchtest du nicht reinkommen?“, fragte sie sanft.
Seine Augen lösten sich von ihr, sprangen in das Studio und wieder auf sie. „Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.“
„Reden“, schlug sie vor. „Wir können nur reden. Das ist okay und ...“ Sie brach ab, biss sich auf die Unterlippe, unsicher, ob sie es aussprechen sollte. „... es wird dich nichts kosten, außer deine Zeit.“ Ihre Wangen glühten, als sie in sein überraschtes Gesicht sah. „Ich kann dir einen Tee anbieten oder Kaffee, wenn du magst.“ Mit einer einladenden Geste, trat sie zur Seite, zog leicht an seiner Hand.
Sein Blick sprang zwischen ihr und der Tür hin und her. Dann seufzte er leise, nickte und ließ sich in ihr Studio ziehen. Sie schloss die Tür hinter ihm, deutete auf die kleine Sitzgruppe. „Setz dich!“
Noch einmal presste er die Lippen aufeinander, dann setzte er vorsichtige Schritte auf die Sessel zu und ließ sich nieder. Sein Blick schweifte durch den Raum und er rieb seine Hände ineinander. Seine Unsicherheit wischte den ersten respekteinflößenden Eindruck fort. Wie süß er in seiner Schüchternheit wirkte.
„Kaffee oder Tee?“, fragte sie lächelnd, um die unangenehme Stille zwischen ihnen zu brechen.
„Tee“, antwortete er. „Ich bin nervös genug.“
Sie schmunzelte. „Tee, kein Problem!“ Seine Augen hafteten auf ihr, als sie sich der kleinen Maschine zuwandte, die auf einer Kommode stand, und sie einschaltete, um heißes Wasser zu ziehen.
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